Interview mit einem Flüchtling V

Hallo Abdullah. Es ist ein paar Jahre her, seit wir uns das letzte mal gesehen haben und ich dich für den Brudolfblog interviewt habe. Erzähl mir, wie erging es dir bislang?

Ja, die Zeit ist vorbeigeflogen. Meine Erfahrungen waren gemischter Natur, aber überwiegend nicht schlecht. Die Höhen und Tiefen haben sich größtenteils auf meine Psyche bezogen und meine Erinnerungen. Es sind wohl Probleme die man hat, wenn man keine anderen Probleme hat. (lacht) Das Ding mit Depressionen ist… ich weiß es nicht. Man muss sich in unserer heutigen Zeit ja wie ein Erwachsener Verhalten. Und ich habe eben unterschiedliche Gefühle dazu, in welche Richtung ich mich bewege. Und oft habe ich das Gefühl, das die Dinge nicht richtig vorwärts gehen.

Konntest du irgendwelche Arbeitsverträge antreten? Was viel dir dabei leicht und was viel dir dabei schwer? Und wie wirkte sich dein Asylstatus dabei aus?

Der ist noch der selbe wie damals, die drei Jahre des Bleiberechts. Ich habe die C1-Prüfung noch nicht absolviert. So gesehen hatte ich einige Job-Angebote, die teilweise auch unbefristet waren, was ja eine Seltenheit zu sein scheint. Ich muss leider sagen, dass ich mich bei den meisten Arbeiten nach einer Weile nicht mehr wohl gefühlt habe. Ich ließ mich oft treiben, wie es wohl vielen mit-20ern geht. Von positiven oder negativen Herausforderungen zu sprechen fällt mir dabei nicht leicht. Ich bin mir nicht sicher in wie weit du dich an mich erinnerst von unseren ersten Begegnungen, aber ich habe üblicherweise nicht die gleichen Probleme wie sie die meisten Syrier oder Araber in Deutschland haben. Dort sind das vor allem soziale Probleme und Schwierigkeiten sich anzupassen. Das viel mir eigentlich nie schwer. Ich bin ja ausgebildeter Matrose und bis es gewöhnt ständig in neuen Häfen anzulaufen. Ich habe hier wirkliche, echte Freunde gefunden und das vor allem unter den Einheimischen. Dann natürlich sind da die Herausforderungen der Arbeit. Etwas Neues zu lernen und es richtig zu lernen sind Herausforderungen, die unvermeidbar sind und natürlich dazu gehören. Dieses Land gibt uns dazu alle Möglichkeiten die es kann, in einer fantastischen Art und Weise. Aber der Preis den wir zahlen ist das Risiko alles hinter uns zu lassen und noch einmal neu anzufangen. Alles ändert sich, die ganze Umgebung und wir müssen unser Handwerk in neuer Art und Weise erneut lernen. Alles was wir tun, jede Kleinigkeit ist ein bißchen schwieriger als zu Hause. Das ist der Preis den wir zahlen müssen. Mentale und psychische Probleme kommen dann dazu. Ich weiß, es hört sich an als ob das alle kleine Dinge sind, als ob man darüber hinweg sehen kann, die nicht so wichtig sind. Aber am Ende des Tages sind auch wir Menschen und es sind die Dinge die uns nachdenklich und letzten Endes betroffen machen. (Atmet tief durch). Was ich hier immer sehr schwierig fand ist (denkt nach), der Wechsel zwischen den sozialen Klassen. Die gibt es natürlich in jeder Gesellschaft. Die Armen, die Reichen… aber in Deutschland erscheint es mir besonders schwierig zu sein. Das gilt sowohl für den eigentlichen sozialen Aufstieg als auch für den Umgang miteinander. Ich hätte es nicht erwartet, derartige Parallelgesellschaften zu finden. Aber vielleicht ist das ja auch der Zustand wie er sein sollte. Allein bezogen auf meine Zeugnisse hätte ich hier in Deutschland sicherlich keinen Job bekommen. Ich habe schon gemerkt, dass ich mit meinen syrischen Zertifikaten hier nicht sehr weit komme. Meine Selbstsicherheit und mein Charme haben mir da mehr weitergeholfen und das ich nie Angst davor hatte auch einmal zu scheitern. Ich war hier bereits Barkeeper, Barmanager, Marketing-Counsultant, habe bei einem Produzenten von Karnevalsartikeln gearbeitet. Ich war immer offen für Neues und habe sofort zugesagt, wenn sich eine Möglichkeit angeboten hat. Menschen treffen und mit ihnen reden, das war immer ein ganz gutes Rezept für mich.

Fühlst du dich durch die Deutschen akzeptiert? Hat sich dieses Gefühl im Laufe der Zeit geändert? Lässt sich dieses Gefühl gegenüber verschiedenen Gruppierungen der Deutschen unterscheiden?

Nun, wenn du freundlich bist, sauber, deine Arbeit erledigst und dich gut anziehst, akzeptieren die Leute dich. Natürlich hat sich dieses Gefühl im Laufe der Zeit geändert. Die Menschen sind immer vor dem ängstlich, dass sie nicht kennen. Die entscheidenden Momente waren immer dann, wenn ich neue Menschen kennengelernt habe. In der Anfangszeit waren die Begegnungen fast immer sehr angenehm. Mit den Bombenanschlägen und Selbstmordattentaten in Europa verschwand das zusehends. Mit den Leuten die ich bereits kenne und die wissen, dass ich ein Atheist bin, gab es hier nie Probleme. Jüngere und vor allem gebildete Menschen neigen außerdem dazu sehr viel offener zu sein und auch neugieriger auf das, was sie nicht kennen. Es sind Menschen mit breitem Horizont bei denen man sich nicht schlecht fühlt, wenn sie einen beurteilen. Und dann gibt es wiederum Menschen bei denen man das Gefühl hat, dass sie eigentlich nicht das Recht haben über mich zu urteilen. Ich sage nicht, dass das Verlierer sind. Aber sie haben einfach einen so engen Horizont. Und dem möchte ich mich nicht unterwerfen. Die Frage ist; denkt ein Mensch an das ganze Universum oder nur sein Land, sein Bundesland, seine Stadt, seine Nachbarschaft? Je enger der Horizont ist, desto mehr neigt der Mensch dazu zu urteilen. Je größer der Horizont ist, desto verständnisvoller ist der Mensch.

Wie empfindest du die „Neuen Rechten“ in Deutschland (AfD, Identitäre Bewegung)? Ist dir deren Existenz unangenehm?

Nun, natürlich als normale menschliche Wesen, wenn auch irrational. Aber sowas wird es immer geben. Ich denke die einzige Möglichkeit den Menschen mehr Verständnis für Politik zu geben, ist ihnen mehr Bildung zu zu führen. Ihr intellektuelles Level zu erhöhen oder sie zumindest zur Erkenntnis zu bringen, das nicht alles was zählt, gezählt werden kann und nicht alles, was gezählt werden kann, zählt, wie Einstein sagte. Ansonsten mache ich mich eigentlich gerne lustig darüber. Mein Favorit ist: AfD – Araber für Deutschland.

Was ist deine Meinung über rechtskonservative Bewegungen in anderen Ländern? Der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Schulz sagte einst über Flüchtlinge; Was [sie] uns bringen, ist wertvoller als Gold. Es ist der unbeirrbare Glaube an den Traum von Europa. Ein Traum, der uns irgendwann verloren gegangen ist. Wenn wir uns das Europa dieser Tage anschauen, scheint eher die Dystopie über den Traum gewonnen zu haben, bedenkt man den Vormarsch rechter Bewegungen und die Farce des Brexit.

Ich glaube nicht, dass Europa zur Dystopie wird. Ich glaube Europa ist wunderschön und im Herzen lernen immer mehr und mehr Menschen, das vor allem kritisches Denken eine progressive Weiterentwicklung ermöglicht. Natürlich trifft man immer wieder auf die Menschen die sagen: Ich schließe mich der Meinung der Mehrheit an. Aber das werden immer weniger und weniger. Auch die Engländer werden es erkennen, das an Europa heute nicht’s vorbei führt. Und sie wachen auch immer mehr auf und realisieren, was für sie da auf dem Spiel steht. Es ist eigentlich das, was Europa zur Dystopie macht. Die riesige Sicherheit die wir hier empfinden, auf einem friedlichen und vorwärtsgewandten Kontinent hat den Engländern erst die Sicherheit gegeben so eine absurde Entscheidung zu treffen. Es sind vielleicht die guten Zeiten die Menschen weniger gebildet machen, weniger wach, weniger aufmerksam. Ich weiß nicht recht wie ich es beschreiben soll. Die Bewohner der us-armerikanischen Vororte sind vielleicht das, was man vorsichtig beschrieben als einfältig nennen kann. Sie haben keine wirkliche Vorstellung mehr davon, was außerhalb ihres Landes passiert. Und das begann in Ansätzen auch in Großbritannien.

Blicken wir einmal auf Syrien: Die europäischen Medien sagen uns, dass der IS besiegt ist. Macht das Syrien nun zu einem sicheren Land?

(lacht) Nicht im geringsten. Es gibt da immer noch das syrische Regime. Die Dinge werden im Moment eher in die Ecken geschoben. Man kann nicht einfach jeden dort nun dazu zwingen in Harmonie miteinander zu leben und so tun als ob nicht’s passiert wäre. Ich denke eher, dass das leider nie passieren wird. Was in Syrien nun passiert ist und immer noch passiert ist das, was dem Libanon davor passiert ist. Nur dass es in Syrien noch schwieriger wird die Situation nur im Ansatz zu bereinigen und die Parteien an einen Tisch zu zwingen. Syrien ist auch viel größer. Ich sage es mal so; ich denke es wird in etwa 30-50 Jahre brauchen um dieses Land wieder in Ordnung zu bringen. Assad ermorden zu lassen ist unverzichtbar. Die Menschen haben seit Jahren nichts als Blut vergossen und jetzt wollen sie auch nicht’s weiteres mehr als Blut. Sie werden es nicht auf sich beruhen lassen. Sie sind Araber. Sie sind dickköpfig. Sie zahlen Blut mit Blut heim. Und ich verstehe es, ohne es zu verteidigen. Es ist einfach das, was passiert. Es ist der natürliche Lauf der Dinge. Und jetzt kämpfen sie für Dinge, ich weiß gar nicht für was. Für Dinge, für die sie schon vor 1400 Jahren gekämpft haben. Das macht Syrien einfach generell zu einem unsicheren Land. Es ist ein Stück weit eine Dystopie mit Assad, dem großen Bruder der einen immer überwacht. Da ist es egal wie viele metergroße Bilder von ihm an jedem verdammten Platz hängen. Hast du George Orwells 1984 gelesen? Das ist eine ganz gute Beschreibung von Syrien – sogar bis zum jetzigen Zeitpunkt und den vom Regime kontrollierten Gebieten. Und es durchzieht jeden Lebensbereich.

Glaubst du, dass die Syrier und Iraker fähig sein werden ihr Land wieder aufzubauen?

Tja nun das kommt darauf an. Es kommt darauf an, dass sie fähig sind ihren Verstand und ihre Herzen zu Öffnen, vor allem gegenüber den Problemen die Religion mit sich bringt. Wenn sie lernen die Waffen niederzulegen, miteinander zu reden und schlichtweg Erwachsen zu werden. Dann können sie ihre Länder zu einem Land für alle machen. Bis das nicht der Fall ist hat man einen Diktator mit der Waffe in der Hand der das Land anführt und wir gehen nirgendwo hin.

Was sind deine Pläne für die Zukunft?

Ich schätze mal, wenn wir jung sind wollen wir die Welt verbessern. Ich glaube dass man stolz darauf sein kann wenn man Älter wird und die Welt sich ändert, sie einen selbst aber nicht geändert hat. Natürlich gibt es am Ende des Tages aber nicht viel mehr Optionen als das zu nehmen, was man bekommt und es entsprechend seiner Bedürfnisse anzupassen. Ich denke aber, dass das schon ein Weg sein kann mit sich selbst zufrieden zu sein.

Vielen Dank für das Interview.

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